"Niemals vergessen, wozu Menschen fähig sind"
Der 9. November ist in Deutschland ein geschichtsträchtiger Tag: Am 9. November 1918 wurde die "Deutsche Republik" ausgerufen und der Kaiser verzichtete auf seinen Thron, 1923 scheiterte Hitlers Putsch, mit dem er erstmals die Macht zu erlangen suchte. Der 9. November 1938 war der Tag, der als Reichspogromnacht in die Geschichte einging und der mit dem Terror gegen die jüdische Bevölkerung verbunden wird. Und am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Ein deutscher Geschichtstag also, der bleibende Mahnung ist, "niemals zu vergessen, wozu Menschen fähig sind. Im Guten wie im Bösen. Sind es doch die Menschen selbst, die im Nationalsozialismus die Vielfalt zerstört haben, ihre jüdischen Nachbarn verrieten, verleumdeten, hassten und töteten", heißt es in dem Text, den junge Rezitatoren mit Pfarrerin Sophie Ludwig und Studiendirektor Jörg Dittberner am späten Samstagnachmittag in der Nikolaikirche vortrugen.
Die gemeinsame Gedenkveranstaltung wurde initiiert durch die Stadt und gestaltet durch die evangelische und die katholische Kirchgemeinde sowie Schülerinnen und Schüler des Christa-und-Peter-Scherpf-Gymnasiums. In Form einer ökumenischen Andacht wurde hier an die Ereignisse um den 9. November erinnert; es wurde erinnert an brennende Synagogen,Geschäfte und Wohnhäuser, an Schaulustige, die den Schändungen beiwohnten, an die Todesangst jüdischer Mitmenschen.
Es wurde erinnert an die unglaubliche Courage einzelner wie Richard Bredow, den Landrat des ostpreußischen Kreises Schlossberg, der als Christ in Wehrmachtsuniform die Synagoge in Schierwindt, einem Ort seines Amtsbereiches, mit der Pistole in der Hand gegen SA, SS und Parteileute verteidigte. Die Synagoge blieb als einzige im Regierungsbezirk unversehrt. Doch es waren nur wenige so mutig wie Bredow oder der Pfarrer Julius von Jan aus Oberlenningen, dessen Predigt vom 16. November 1938 Jörg Dittberner vorträgt. Klar und deutlich waren die Worte des Geistlichen, als er damals sagte: "Und wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet und seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muss." Er sprach von einer "entsetzlichen Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welche entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen, wenn Gott unserem Volk und uns nicht Gnade schenkt zu aufrichtiger Buße …". Wenige Tage nach seiner Predigt wurde Pfarrer Julius von Jan nach schweren Misshandlungen durch SA-Männer in "Schutzhaft" genommen, später der Gestapo überstellt, zu Haft verurteilt, von seiner Kirchenleitung suspendiert und an die Ostfront geschickt. Im September 1945 kehrte er nach Internierung durch die Amerikaner nach Hause zurück, 1964 verstarb er. Postum wurde Julius von Jan 2020 von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.
Nach der Andacht in der Kirche ging man gemeinsam, Hoffnungslichter in den Händen haltend, zum Platz an der Synagoge. Und noch einmal erklangen Bibelverse, wurde aus dem Talmud rezitiert und an die jüdischen Mitmenschen aus Prenzlau erinnert,die in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden. Mit einer Schweigeminute, dem Ablegen eines Gesteckes durch Vize-Bürgermeister Marek Wöller-Beetz und den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Ludger Melters, und dem Dazustellen der vielen Hoffnungslichter endete das Gedenken mit Worten von Pfarrerin Ludwig, die noch einmal mahnte und um Miteinander, Nächstenliebe und Toleranz warb.